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Monika

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Es ist nicht das, wonach es aussieht

Mittwochnachmittag. Stehe in der Lingerie-Abteilung eines großen Textilkaufhauses und fotografiere Mädchenunterhosen.

Wobei, so ein Satz lappt womöglich ins Missverständliche.

Tatsächlich brauchte ich T-Shirts. Daher bat mich die Tochter doch gleich auf dem Weg auch ein paar Unterhosen für sie zu besorgen. Im riesigen Dessous- und Wäschebereich des gewiss eher an ein jugendliches Publikum ausgerichteten Discounters fand ich es jedoch reichlich unübersichtlich.

Da ich mittlerweile weiß, wie schnell man was verkehrt macht, habe ich also die Tochter noch einmal angerufen. Um auf Nummer Sicher zu gehen. Die wiederum meinte, ich solle doch einfach schnell die verschiedenen, infrage kommenden Unterhosen fotografieren, ihr die Bilder schicken und dann könne sie auswählen.

Also steht nun in diesem riesigen, hippen Jugendlichen-Modekaufhaus inmitten hunderter junger Mädchen ein einzelner mittelalter, untersetzter, kahlköpfiger Mann und schwenkt Mädchenunterhosen. In ein irgendwie günstiges Licht. Betrachtet sie. Um sie dann zu fotografieren. Und denkt sich… -nichts dabei.

Eine Verkäuferin spricht mich an: „Entschuldigung, was machen Sie denn da?

Aus irgendeinem Grunde erschrecke ich mich. Habe, warum auch immer, ein schlechtes Gewissen. Versuche mich daher, einem schwachsinnigen Reflex folgend, hinter der purpurfarbenen Mädchenunterhose in meiner Hand zu verstecken. Wer heutige Mädchenunterhosen und die Größe meines Kopfes kennt, wird sich denken können: Das gelingt nur höchst unzureichend. Und tatsächlich: Die Verkäuferin kann mich immer noch sehen.

Sie wiederholt ihre Frage: „Was machen Sie denn da?

Es ist nicht das, wonach es aussieht.

Nein?

Nein. Gar nicht.

Ach. Dann stehen Sie also nicht hier in unserer Lingerie-Abteilung und fotografieren Mädchenunterhosen?

Nein. Das heißt doch. Also schon einerseits, aber… weiß nicht.

Sie wissen nicht, ob Sie Mädchenunterhosen fotografieren?

Doch, das schon, aber es ist nicht das, was sie denken.

Sie überlegt. Eine ganze Weile, sagt schliesslich: „Sie Schwein!

Wehre ab. „Moment, das ist ungerecht. Ich sagte doch, es wäre nicht das, was Sie denken.

Sie nickt.
Eben. Ich dachte, wahrscheinlich fotografiert er die Unterhosen, um so seine Tochter per Telefon zu fragen, welche er kaufen soll. Aber da es ja nicht das ist, was ich denke, sind Sie offensichtlich doch ein Schwein.

Oh. Die Denkweise von Verkäuferinnen war für mich schon immer ein Mysterium.

Dezember letzten Jahres musste ich für eine Bühnenproduktion eine weiße Hose kaufen. Also ging ich in ein richtiges Erwachsenenmodekaufhaus, wo aufgrund der Winterkollektion jedoch nichts wirklich Helles hing. Also fragte ich nach einer strahlend weißen Hose.

Die Verkäuferin, die so etwa in meinem Alter gewesen sein dürfte, zwinkerte mir daraufhin zu, gab mir einen regelrecht anzüglichen kleinen Knuff und flötete süß: «Na, da kann wohl noch jemand den Frühling kaum erwarten, was?»

Angemessen überrumpelt, stotterte ich: «Nein, nein, ich brauche die quasi eher beruflich.»

Augenblicklich wich sie zurück, nahm Haltung an und antwortete in respektvollstem Ton: «Oh, Entschuldigung, Herr Doktor.»

Ungefähr eine Minute lang versuchte ich noch erfolglos, das Missverständnis aufzuklären. Bis ich begriff, dass ich schlagartig mehrere Stufen innerhalb der Kundenhierarchie aufgestiegen war. Mein Beruf sprach sich in Sekunden herum. Teilweise kümmerten sich nun drei bis vier Verkäuferinnen gleichzeitig um mich, waren aufmerksam, zuvorkommend und fröhlich. Sie sahen im Lager nach, kramten unverkäufliche Musterhosen hervor, telefonierten mit anderen Filialen. Natürlich schäkerte man auch, und selbstverständlich wurde jede der Verkäuferinnen früher oder später mit dem ein oder anderen Leiden bei mir vorstellig.

Erstaunlicherweise konnte ich ihnen allen seriös und fachkundig helfen. Unabhängig von Krankheit und Diagnose empfahl ich zur Linderung stets: «Viel Gemüse und Obst, wenig Zucker, rotes Fleisch und Weißmehl meiden. Gönnen Sie Ihrem Körper ausreichend Bewegung und Schlaf. Aber lassen Sie auf jeden Fall möglichst bald Ihren Hausarzt noch mal draufgucken. Obwohl der Ihnen wahrscheinlich genau dasselbe sagt. Haha. Doch besser ist das.»

Am Ende hatte ich eine der schönsten Dreiviertelstunden meines Lebens verbracht, eine hervorragend sitzende weiße Hose gefunden und endlich mal wieder eine Strategie für ein besseres Leben entdeckt. Wann immer ich nun in einem Kaufhaus von den Verkäuferinnen zu wenig beachtet werde, frage ich nach einer weißen Hose oder weißen Schuhen mit hellen Sohlen.

Kurze Zeit später bin ich «Herr Doktor», und alles geht wie von selbst. Wobei ich höchsten Wert darauf lege, mich niemals selber als Arzt auszugeben.

Klar, sonst wäre das ja Scharlatanerie.

Ganz am Ende meiner damaligen Doktorlaufbahn, als ich mit meiner Tüte fast schon draußen war, kam die erste Verkäuferin mir noch einmal nachgelaufen, griff mich am Arm und zischte: «Sie sind ja gar kein richtiger Arzt.»

Nun war ich verblüfft. «Wie kommen Sie darauf?»

«Ein richtiger Arzt hätte doch niemals so lange, geduldig, freundlich und fröhlich unsere vielen Fragen beantwortet. Da hätte er doch gar nicht die Zeit für.»

Das genau meine ich mit: Die Denkweise von Verkäuferinnen war für mich schon immer ein Mysterium. So auch jetzt bei den Unterhosen.

Die junge Frau lächelt mich auf eine Art und Weise an, bei der ich nun wirklich nicht weiß, ob sie mich tatsächlich für ein Schwein hält oder einfach nur Spaß an meiner Verlegenheit hat.

Ich entschließe mich, meinen höchsten Trumpf zu spielen. „Ach, und außerdem bräuchte ich dann aber auch noch eine weiße Hose.

Sie zieht die Augenbraue hoch. „’ne weiße Hose?

Ja. Strahlend weiß. Aus beruflichen Gründen.

Zack. Das hat gesessen. Sehe, wie es in ihr rattert. Dann erhebt sie die Stimme und ruft, ohne den Blick von mir abzuwenden, sehr laut durch den Laden: „He, Thomas! Der Maler hier, der die ganze Zeit Mädchenunterhosen fotografiert, braucht wohl ’ne neue weiße Arbeitshose zum Bekleckern. Kümmerst du dich darum?

Alle jungen Mädchen auf der Etage starren uns an. Also zumindest gefühlt. Dann lacht die Verkäuferin los.

Ach, ich mach ja nur Quatsch. Ich hab natürlich sofort gesehen, dass Sie Arzt sind.

Echt? Woran denn?

Jemand, der hauptberuflich mit Farben oder Design zu tun hat, würde doch nie so eine misslungene Farbkombination tragen.

«Ach so.»

Eine andere Verkäuferin kommt angerannt. «Stimmt es, dass Sie Arzt sind?»

«Na ja …» Lege mir schon meinen Rat hinsichtlich Ernährung und Bewegung zurecht, als sie an meiner Hand zerrt.

«Einer hochschwangeren Kundin in der Umkleidekabine da vorn ist gerade die Fruchtblase geplatzt. Sie müssen sofort …»

In diesem Moment gelingt mir dann doch eine Ohnmacht.

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