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Gepresste Lebensqualität
Ich habe eine elektrische Saftpresse zum Geburtstag geschenkt bekommen. Dies hier nur mal so einleitend, damit niemand denkt, mir würde immer nur die Sonne aus dem Hintern scheinen. Mir passieren auch schlimme Sachen.
Zum Beispiel habe ich eine elektrische Saftpresse zum Geburtstag bekommen. Wenn man erst einmal so weit ist, dass die Menschen es einem nicht mehr zutrauen, das Obst roh, am Stück beißen zu können, sondern einem elektrische Saftpressen schenken, dann weiß man, was die Stunde geschlagen hat.
Mit dem Obst fängt es an, aber bald schon wird dir diese Maschine vermutlich auch das Mittag- und Abendessen pürieren. Das ist der Lauf der Welt. Mit Brei beginnen wir, mit Brei enden wir. Die Klammer des Lebens, letztlich ist sie das Püree.
Aber am Ende sind wir natürlich froh, dass wir das Püree haben. Die Welt ist sonst schon hart genug. Und ungerecht.
Das wusste ich allerdings bereits, bevor ich eine elektrische Saftpresse zum Geburtstag geschenkt bekommen habe.
Von den Eltern der Freundin. Weil ich doch mit dem Rauchen aufgehört habe, schreiben sie, da würde ich mir doch sicher gerne mal öfter einen frischen Saft machen … Großartige Logik.
Jetzt, wo ich nicht mehr rauche, habe ich ja praktisch den ganzen Tag nichts mehr zu tun. So als pensionierter Raucher muss man sich ja erst mal wieder neue Aufgabenfelder suchen. Und wie ließe sich so eine innere Leere besser füllen als mit Saft? Dass ich da nicht selbst drauf gekommen bin. In nur zehn Sekunden, steht auf dem Karton, in nur zehn Sekunden macht mir diese Maschine einen frischen, vitaminreichen, gesunden und leckeren Saft. Das sei so praktisch.
Zehn Sekunden? Zehn Sekunden dauert es ungefähr, wenn ich mir an einem der vielen Stände in Berlin einen fertigen, frischgepressten Frucht- oder Gemüsesaft kaufe. Das ist praktisch. Wenn ich diesen Saft mit der Maschine machen will, muss ich erst das Obst kaufen, es nach Hause tragen, waschen, schälen, zuschneiden, die Maschine aufbauen, zehn Sekunden Saft pressen und hinterher das Ding ewig wieder reinigen. Ich wäre ungefähr einen halben Tag beschäftigt.
Das ist nicht praktisch. Damit sich diese Saftpresse lohnt, müsste ich in die Großproduktion wechseln. Immer gleich mehrere Hektoliter Saft herstellen. Dann würde es sich vom Aufwand her vielleicht rechnen.
Aber so viel kann ich doch gar nicht trinken. Was mache ich dann mit dem ganzen überschüssigen Saft? Ihn in Plastiktüten heimlich nachts illegal über die Grenze nach Liechtenstein schaffen? Als stille Altersvorsorge? Das führt doch zu nichts.
Obwohl ich eine Altersvorsorge nun natürlich brauche, und zwar eine richtig gute, denn ich habe ja mit dem Rauchen aufgehört. Da lohnt sich jetzt eine Altersvorsorge.
Anfangs war ich ja gar nicht sicher, ob es eine kluge Entscheidung ist, mit dem Rauchen aufzuhören. Diese ganze Welt der Nichtraucher, ich wusste wirklich nicht, ob ich da reinpasse, ob das überhaupt was für mich ist. Man weiß ja so wenig über die Nichtraucher, wie die so leben, was die den ganzen Tag über machen, ob die es auch manchmal schön haben. Ich war da eher skeptisch.
Doch jetzt, wo ich schon seit mehr als einem Jahr nicht mehr rauche, kann ich guten Gewissens sagen, es hat nicht nur Nachteile, das Nichtrauchen. Einer der wesentlichen Gründe beispielsweise, derentwegen ich immer überzeugt war, ich müsse rauchen, war, weil ich dachte, ich könne mich mit Zigarette viel besser konzentrieren.
Eigentlich könne ich mich nur mit Zigarette konzentrieren. Denn die Zigarette hilft mir total, die Gedanken zu fokussieren, zu ordnen und so weiter. Daher war es für mich sehr überraschend zu bemerken, dass ich, seit ich nicht mehr rauche, eine völlig andere, viel größere Klarheit in meinen Gedanken habe.
Dort, wo vorher immer so ein Riesenwust war, wo ich an tausend Sachen gleichzeitig gedacht habe und permanent Angst hatte, ich könnte etwas vergessen, da habe ich mittlerweile nur noch einen ganz einfachen, ganz klaren Gedanken.
Eben den Gedanken: «Ich würde gern rauchen!»
Und das ist wirklich entspannend, also nicht mehr an tausend Sachen gleichzeitig denken zu müssen, sondern nur noch diesen einen, einzigen Gedanken zu haben, und auch nie die Angst haben zu müssen, ich könnte den vergessen.
Nein, den vergisst man nicht. Der ist immer da. Jeden Tag, immer wieder, ganz treu, und er ist auch nicht beleidigt, wenn man dann nicht rauchen möchte.
Selbst wenn man ihn wütend wegschickt, bleibt er ganz gelassen: «Ach ja, ist kein Problem, rauchen wir eben heute nicht, ich komm einfach morgen wieder und frag dann nochmal.»
Viele nichtrauchende Freunde hatten mir auch versprochen, ich würde neue Geruchs- und Geschmackserlebnisse haben, wenn ich nicht mehr rauche. Wenn nach fünf oder sechs Wochen die Atemwege und Geschmacksknospen wieder frei wären, dann würde ich in ganz neue Geruchs- und Geschmackswelten eintauchen, darum würden sie mich richtig beneiden.
Nach rund einem Jahr des Nicht-mehr-Rauchens kann ich guten Gewissens feststellen, das Einzige, was ich heute rieche, was ich vorher nicht gerochen habe, ist Zigarettenrauch.
Ein wunderbares Erlebnis, da beneide ich mich aber selber drum. Und zu den neuen Geschmackswelten, die ich entdecke, seit die Geschmacksknospen sich wieder geöffnet haben, möchte ich sagen: Ungefähr die Hälfte all der Sachen, die ich mir immer gerne für mich selbst gekocht habe, schmecken mir nicht mehr. Gegessen werden sie aber natürlich trotzdem.
Mein Kioskbesitzer fand es übrigens gar nicht witzig, dass ich aufgehört habe zu rauchen.
Er, also mein persönlicher Zulieferbetrieb, war wirklich beleidigt, hat sogar ein bisschen patzig reagiert und diese ganz eigene Form der Bestrafung angewandt.
Diese Bestrafung mit der Anrede «Der feine Herr!».
Sobald ich in den Kiosk kam, fing er an: «Oh, der feine Herr guckt auch mal wieder vorbei, ja, der feine Herr raucht ja nicht mehr. Das hat er nicht mehr nötig, der feine Herr, muss er keine doofen Zigaretten mehr kaufen. Möchte der feine Herr denn sonst irgendwas? Eine Zeitung vielleicht? Lesen tut der feine Herr ja wohl noch!»
Das war zwar anstrengend, aber doch auch ein bisschen hübsch, weil es mich an meine Kindheit erinnert hat.
Mein Vater war der Letzte gewesen, der diese Form der Bestrafung angewandt hatte, also diese Bestrafung mit der Anrede «Der feine Herr!».
Er hat immer wieder Sachen gesagt wie: «Oh, der feine Herr war wieder bis vier Uhr nachts unterwegs!»
Und das meinte er nicht wirklich anerkennend. Oft hat er dann auch noch Sätze nachgeschoben wie: «Wer saufen kann, kann auch aufstehn!»
Ein Satz, der übrigens, wie ich aus langjähriger Erfahrung weiß, überhaupt gar nicht stimmt.
Im Gegenteil. Man soll sich da bloß nicht drauf verlassen.
Ich habe es mehrfach probiert, immer wieder, wie oft dachte ich: «Um Gottes willen, du musst morgen früh raus, trink noch!»
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